Befunde 2020

Das Berliner Monitoring trans- und homophobe Gewalt zielt auf eine bessere Erfassung und Dokumentation trans- und homophober Gewalt, um die Stadtgesellschaft zu sensibilisieren und Betroffene zu stärken. Die erste Ausgabe startet die auf eine kontinuierliche Fortschreibung angelegte Berichterstattung mit zwei Schwerpunkten:

  • Erstens – und erstmals – werden die Daten des polizeilichen Staatsschutzes zu „Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung und/oder sexuelle Identität“ für Berlin im Zeitraum von 2010 bis 2018 differenziert ausgewertet und
  • zweitens lesbenfeindliche Gewalt vertiefend untersucht, die vergleichsweise unsichtbar ist und auch in der polizeilichen Statistik nur in geringem Maße abgebildet wird.

Ergänzt werden die beiden Schwerpunkte mithilfe des „Berlin Monitor“ durch einen bevölkerungsrepräsentativen Blick auf trans- und homophobe Einstellungen und Diskriminierungserfahrungen sowie durch drei Gastbeiträge – etwa zum Konzept der „Hasskriminalität“ sowie zur Verschränkung von Sexismus, Misogynie und lesbenfeindlicher Gewalt.

Zentrale Ergebnisse werden hier zusammengefasst

Trans- und homophobe Gewalt in der polizeilichen Statistik
Trans- und homophobe Einstellungen und Diskriminierungserfahrungen in Berlin
Schwerpunktthema: Lesbenfeindliche Gewalt verstehen
Schwerpunktthema: Lesbenfeindliche Gewalt vermessen

Trans- und homophobe Gewalt in der polizeilichen Statistik
In Berlin werden besonders viele Fälle trans- und homophober Gewalt angezeigt
  • In Berlin werden besonders viele Fälle von Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung und/oder sexuelle Identität polizeilich angezeigt, konkret werden hier mehr Fälle als im gesamten sonstigen Bundesgebiet erfasst.
  • Ab 2018 steigt die Zahl der Anzeigen von Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung und/oder sexuelle Identität insgesamt stark an. Auch bei Gewaltdelikten im engeren Sinn finden sich deutliche Zuwächse, die allerdings etwas geringer ausfallen.
  • Die hohe Zahl angezeigter Fälle erklärt sich teilweise durch ein besonders aktives Anzeigeverhalten, das durch Community-Einrichtungen und Polizei gefördert wird. Die starken Zuwächse markieren zudem einen wachsenden Handlungsdruck.
Die Statistik zu Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung und/oder sexuelle Identität dokumentiert vor allem männliche* Geschädigte, ein erheblicher Teil der Fälle sind Gewalttaten, Beleidigungen sind das häufigste Delikt
  • Die polizeiliche Statistik erfasst Geschlecht binär. Für diejenigen Fälle, in denen Geschädigte angegeben sind, werden in Berlin stark überwiegend männliche* Geschädigte von Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung und/oder sexuelle Identität (83 % der Geschädigten) erfasst. Ungefähr ein Sechstel (16 %) der Opfer sind Frauen*.
  • Etwa ein Drittel (35,0 %) der gemeldeten Fälle entfällt auf Gewaltkriminalität.
  • Beleidigungen stellen mit zwei Fünfteln (44,3 %) der Fälle das häufigste Delikt dar.
  • Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung und/oder sexuelle Identität richtet sich vornehmlich (zu 88,8 %) gegen Personen und zu einem kleineren Teil gegen Sachen.
Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung und/oder sexuelle Identität ist gesellschaftlich breiter verankert und geht nur zu einem kleineren Teil auf ein politisch organisiertes Spektrum zurück
  • Die meisten klassifizierbaren Vorfälle von Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung und/oder sexuelle Identität entfallen auf den Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität – rechts“. Die überwiegende Zahl von Fällen wird aber keinem der definierten Phänomenbereiche zugeordnet (79,9 %). Sie fällt in den Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität – nicht zuzuordnen“ (79,9 %).
  • Trans- und homophobe Gewalt ist überwiegend kein exklusives Thema des sog. politischen Extremismus, sondern gesellschaftlich breiter verankert. Sog. Extremistische Kriminalität macht mit 11 % nur einen kleinen Teil der Fälle trans- und homophober Hasskriminalität aus.
  • In 17 % aller angezeigten Fälle trans- und homophober Gewalt wurden weitere Dimensionen politisch motivierter Kriminalität dokumentiert, insbesondere Unterhemen der Hasskriminalität wie Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus.
Geographische Schwerpunkte liegen in Mitte, Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg
  • Zwei Drittel aller Vorfälle (63 %) entfallen auf die drei Bezirke Mitte, Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg, die berlinweit am stärksten belasteten Ortsteile sind Neukölln und Mitte.
  • Besonders der Ortsteil Neukölln, aber auch Friedrichshain und Kreuzberg fallen mit hohen Anteilen von Körperverletzungen und gefährlichen Körperverletzungen auf.
  • Der überwiegende Anteil aller angezeigten Übergriffe (67,3 %) findet im öffentlichen und halböffentlichen Raum statt.
Polizeilich dokumentierte trans- und homophobe Taten stehen häufig in Zusammenhang mit Ausgehverhalten
  • Nahezu die Hälfte (47,6 %) aller Vorfälle findet in Berlin in den frühen Abend- und Nachtstunden zwischen 16:00 Uhr und 24:00 Uhr statt.
  • Trans- und homophobe Delikte sind insbesondere Wochenend-Delikte. Sie finden zu jeweils knapp 20 % an Samstagen und Sonntagen statt.
  • Besonders hoch ist die Belastung mit trans- und homophober Kriminalität in den Sommermonaten Juni, Juli und August mit monatlich jeweils über 10 % der Fälle.
Tatverdächtige sind ganz überwiegend männlich und auffällig oft bereits polizeilich bekannt. Deren Staatsangehörigkeiten entsprechen weitgehend der Berliner Bevölkerungsstruktur
  • Trans- und homophobe Taten werden in Berlin oft (56 %) von einzelnen Tatverdächtigen verübt.
  • Der Anteil männlicher Tatverdächtiger liegt zwischen 2010 und 2018 bei 91,5 %.
  • Trans- und homophobe Vorfälle gehen auf Tatverdächtige aller Altersgruppen zurück, die Mehrheit der Tatverdächtigen ist aber jung: 17,2 % sind unter 20 Jahre alt, fast ein Drittel (30,7 %) zwischen 20 und 30 und 20,7 % zwischen 30 und 40.
  • Hinsichtlich von Herkunft und Staatsangehörigkeit der Tatverdächtigen finden sich keine Auffälligkeiten. Deutsche Staatsangehörige und Menschen mit nicht deutschen Staatsangehörigkeiten treten jeweils ungefähr gemäß ihres Anteils an der Berliner Wohnbevölkerung als Tatverdächtige in Erscheinung.
  • Auffällig viele Tatverdächtige für Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung und/oder sexuelle Identität sind als vorbestraft bereits polizeilich bekannt. Nur ein Viertel der Tatverdächtigen ist nicht vorbestraft.
Geschädigte polizeilich dokumentierter trans- und homophober Gewalt sind meist allein unterwegs, kennen den Täter/die Täter*in nicht und sind jung
  • Opfer von Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung und/oder sexuelle Identität wurden weit mehrheitlich (zu 68,2 %) „zufällig“, ohne vorherige Bekanntschaft ausgewählt.
  • Fast drei Viertel (70 %) der Übergriffe in Berlin richten sich gegen ein einzelnes Opfer.
  • Männer* sind zu größeren Teilen (42 %) von Gewaltdelikten betroffen als Frauen* (36 %).
  • Jüngere Altersgruppen werden besonders häufig als Opfer von Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung und/oder sexuelle Identität erfasst. 30 % der Opfer sind zwischen 20 und 30 Jahre, ein Viertel (24 %) zwischen 30 und 40 Jahre alt.
  • In jüngeren Altersgruppen kommen weibliche* Opfer in besonders oft vor.
  • Mitte, Tempelhof-Schöneberg, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln sind Bezirke mit besonders hohen Zahlen von Betroffenen.
Gewaltdelikte werden seltener aufgeklärt als nicht gewaltförmige Delikte
  • Die Aufklärungsquote ist bei Gewaltdelikten mit 38,2 % deutlich niedriger als bei nicht gewaltförmigen Delikten (48,1 %).
Trans- und homophobe Einstellungen und Diskriminierungserfahrungen in Berlin
  • Diskriminierungserfahrungen aufgrund sexueller Orientierung und/oder sexueller Identität sind sehr weit verbreitet.
  • Ältere Menschen berichten in geringem Maß von derartigen Diskriminierungserfahrungen – besonders hohe Anteile finden sich in der Altersgruppe bis 30 Jahre.
  • Viele Berliner*innen äußern liberale und pluralitätsoffene Einstellungen und eine deutliche Mehrheit unterstützt Maßnahmen gegen die Diskriminierung von LSBTIQ*-Personen. In kleineren Bevölkerungsteilen finden jedoch offen trans- und homophobe Vorurteile Zustimmung.
  • Die Zustimmung zu trans- und homophoben Vorurteilen ist in der älteren Bevölkerung tendenziell weiter verbreitet. Die geäußerte Zustimmung zu trans- und homophoben Vorurteilen sinkt mit steigendem formellem Bildungsgrad.
  • Trans- und homophobe Einstellungen sind bei Menschen mit „Migrationshintergrund“ oder ohne deutsche Staatsbürgerschaft etwas stärker verbreitet. Auch sie stimmen aber Maßnahmen gegen die Diskriminierung von LSBTIQ*-Personen mehrheitlich zu.
Schwerpunkt Thema: Lesbenfeindliche Gewalt verstehen
Statistiken zu Homophobie belassen Lesben tendenziell unsichtbar
  • Studien zu lesbenfeindlicher Gewalt zeigen, dass die geringe Repräsentanz lesbischer/queerer Frauen* nicht auf eine geringere Gewaltbetroffenheit zurückgeht.
  • Die bisherige Forschung zeigt ebenfalls, dass Frauen* eher als Männer* dazu neigen, homophobe Beleidigungen hinzunehmen, da sie durch alltäglichen Sexismus zumeist schon seit jungen Jahren an sexualisierte Abwertung und Beleidigung gewöhnt sind.
Lesbenfeindliche Gewalt hat als Thema für lesbische/queere Frauen* eine große Dringlichkeit
  • Lesbenfeindliche Gewalt hat für Betroffene eine große Dringlichkeit, denn jede Lesbe/queere Frau* muss damit rechnen, Opfer lesbenfeindlicher Gewalt zu werden.
  • Häufig werden persönliche Erfahrungen lesbenfeindlicher Gewalt nicht so benannt.
  • Berlin wird als sicherer „Zufluchtsort“ erlebt. Gleichzeitig hat das Sicherheitsgefühl lesbischer/queerer Frauen* in Berlin in den letzten Jahren abgenommen.
Gewalt findet überwiegend im öffentlichen Raum statt. Übergriffe im persönlichen Umfeld werden aber häufig als belastender empfunden
  •  Verbale Gewalt (Beschimpfung, Beleidigung etc.) wird als häufigste Form von Gewalt beschrieben.
  • Gewaltvorfälle im öffentlichen Raum geschehen meist entweder als „Gewalt im Vorübergehen“, die aus zufälligen Begegnungen heraus entsteht, oder als Gewalt im Kontext heterosexistischer Anmache.
  • Gewalt im persönlichen Umfeld wird zwar insgesamt seltener berichtet als Gewalt im öffentlichen Raum, durch die Betroffenen aber oft als belastender empfunden. Es handelt sich oft um fortlaufende Prozesse handelt, in denen auch der Kontakt zu den Tätern/Täter*innen fortbesteht.
  • Lesbenfeindliche Gewalt wird auch innerhalb von LSBTIQ*-Communitys beschrieben. Diese Vorfälle werden ebenfalls als besonders belastend beschrieben, weil sie sich in Räumen ereignen, die als Rückzugs- und Schutzorte fungieren (sollen).
Verschränkungen mit anderen Diskriminierungsformen spielen eine große Rolle
  • In lesbenfeindlicher Gewalt verschränken sich so gut wie immer Homophobie und (Hetero-)Sexismus.
  • Weitere verbreitete Intersektionen im Kontext lesbenfeindlicher Gewalt sind Transfeindlichkeit, Rassismus und Behindertenfeindlichkeit.
Viele lesbische/queere Frauen* treffen Vorsichtsmaßnahmen. Im Erleben konkreter Gewaltsituationen kommt dem Verhalten Unbeteiligter eine wichtige Rolle zu
  • Viele lesbische/queere Frauen* treffen Vorsichtsmaßnahmen und machen sich damit die gesellschaftliche Aufgabe der Gewaltprävention individuell zu eigen.
  • Betroffene haben persönliche „Stadtpläne“ der Unsicherheit, die beschreiben, an welchen Orten sie sich besonders sicher oder unsicher fühlen. Diese „Stadtpläne“ sind individuell sehr unterschiedlich, allgemeine Schlüsse hinsichtlich bestimmter Bezirke oder Stadtregionen lassen sich nicht ableiten.
  • Im Vergleich zu früheren Studien findet sich eine Veränderung im Umgang mit Gewalt: Es wird zwar nach wie vor wenig angezeigt, aber viel im Privaten besprochen.
  • Das Nichteingreifen Unbeteiligter wird oft als besonders verletzend beschrieben, Situationen, in denen Passant*innen eingegriffen haben, hingegen als „empowernd“ und unterstützend.
  • Die Befragten wünschen sich ein stärkeres gesellschaftliches Commitment zu ihrer spezifischen Problemlage, beispielsweise Aktionen für Solidarität und Zivilcourage.
Schwerpunktthema: Lesbenfeindliche Gewalt vermessen
Wer wurde befragt?
  • Von 188 Teilnehmer*innen bezeichnen sich die meisten als weiblich (87 %) bzw. divers (14 %) und lesbisch (58 %) bzw. queer (35 %). Die meisten Befragten sind zwischen 25 und 35 Jahre alt (mit Befragten auch von 18 bis über 60 Jahren), haben einen Hochschulabschluss und 28 % sind nach eigener Einschätzung oft als lesbisch/queer sichtbar.
Die Mehrheit der Befragten hat in den vergangenen fünf Jahren lesbenfeindliche Gewalt erlebt. Die Verschränkung mit Sexismus spielt bei diesen Vorfällen eine große Rolle
  • Die Mehrheit der Befragten fühlt sich in Berlin eher sicher, beschäftigt sich aber gleichzeitig (eher) stark mit der Möglichkeit lesbenfeindlicher Übergriffe.
  • 57 % der Befragten haben in den letzten fünf Jahren lesbenfeindliche Gewalt erlebt, 35 % im vergangenen Jahr. Die lesbenfeindliche Motivation der Vorfälle war in der Regel klar erkennbar – z. B. aufgrund von Beleidigungen und Schimpfworten (70 %).
  • Übergriffe gingen zumeist von Einzelpersonen (63 %) aus. Nur in einem kleinen Teil der Fälle waren Täter/Täter*in bereits zuvor persönlich bekannt (13 %).
  • Sexismus und Lesbenfeindlichkeit scheinen eng verschränkt, die Betroffenen sehen fast immer eine sexistische Komponente in Übergriffen. Die Betroffenheit durch Sexismus (94 %) ist noch höher als die durch Homophobie.
Die überwiegende Mehrheit der Befragten ergreift Vorsichtsmaßnahmen. Übergriffe werden aber nur selten angezeigt
  • Rund drei Viertel der Teilnehmerinnen ergreifen Vorsichtsmaßnahmen in der Öffentlichkeit. Befragte, die von sich sagen, dass sie oft als lesbisch/queer wahrgenommen werden, treffen noch häufiger Vorsichtsmaßnahmen (über 90 %).
  • Die Dunkelziffer nicht angezeigter lesbenfeindlicher Gewalt erscheint ausnehmend hoch. Von 97 berichteten Übergriffen wurden drei angezeigt.
  • Berichte über lesben-/queerfeindliche Übergriffe verlassen selten die Szene. Möglichkeiten zur Online-Anzeige und -Meldung von Vorfällen sind kaum bekannt (16 %). Beratungsstellen und Ansprechpersonen der Polizei kennen 50 % der Befragten.
  • Viele Befragte zeigen polizeilich nicht an, weil sie nicht annehmen, dass die Polizei etwas unternimmt oder unternehmen kann.
Unbeteiligte sind oft zugegen, greifen aber selten ein
  • Übergriffe geschehen oftmals im Beisein Unbeteiligter. Nach Angabe der Befragten gibt es in den meisten Fällen (67 %) zwar Zuschauer*innen. In der überwiegenden Zahl (75 %) derjenigen Fälle, in denen Unbeteiligte vor Ort waren, haben diese jedoch nicht eingegriffen oder Hilfe geholt.
  • Das (Nicht-)Verhalten von Zeug*innen und Unbeteiligten erstreckt sich auch auf schwerere Übergriffe wie z. B. körperliche Gewalt.

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